Pressestimmen


 

Malerei selbstbewußt 

 

Die Klasse von Hermann Nitsch zeigt ihre Arbeiten

 

 

Von Nikolaus Jungwirth

 

Eine Gruppenausstellung der Klasse von Professor Hermann Nitsch." Die Ankündigung weckte bereits' im Voraus wilde Fantasien. Ist doch der kleine, dicke, gemütlich wirkende Österreicher Hermann Nitsch nicht erst seit 1989 als gefährliches, blutrünstiges Künstler-Monster populär geworden, als ihm das hessische Kultusministerium eine Professur an der Frankfurter Städelschule verweigert hatte. Schon seit Jahrzehnten halten die mehrtägigen Aufführungen des "Orgien Mysterien Theaters", die der Aktionskünstler in seinem niederösterreichischen Schloss veranstaltet, nicht nur die Boulevardpresse in Atem. Werden die Hervorbringungen der Akademie-Masse - die Hermann Nitsch nun doch an der Städelschule leitet - die Gemüter ebenso erregen, wie die eigenen Produktionen des Orgien-Mysterien-Veranstalters ?

Das Publikum kann beruhigt sein. Was es in der Sachsenhäuser Ausstellungs Halle von Robert Bock zu sehen bekommt, bietet keinerlei Anlass für einen Skandal: kein Blut, kein Kot, kein Gedärm, überhaupt nichts Organisches. Nirgends ist Ekstatisches oder gar ein Einfluss der katholischen Traumata des Österreichers zu spüren- Zu besichtigen sind höchst unterschiedliche, unspektakuläre Möglichkeiten, in der Zeit liegende künstlerische Themen zu bearbeiten. Auffallend ist in dieser Ausstellung der selbstbewusste Auftritt der Malerei. Und das in einer .Zeit, in der das Tafelbild - gerade in der jungen Kunst - ansonsten eine eher verschämte Rolle spielt. 

 

Die Skala der Ausdrucksvarianten reicht von ungegenständlichen Arbeiten, wie den energisch extrovertierten, gestischen Äußerungen von Andrea Simon und der introvertierten, die zarte Welt der Gefühle spiegelnden Malerei von Fatma Stößinger bis zu einer großformatigen, figürlichen Zeichnung auf Nessel von Oliver Tüchsen, die den Künstler aufgebahrt auf einem Tisch, umringt von Lehrern und Studenten der Städelschule zeigt. Die Schau vereint so verschiedene inhaltliche Ansätze wie das ironisch mit den oberflächlichen Reizen der Trivialität spielende Porträt eines Transvestiten von Jessica Hösch und die Darstellung eines schwebenden Paares von Esther Merz, die damit auf so tief greifende Vorgänge wie den Einfluss des Mondes auf den Rhythmus des menschlichen Körpers verweisen möchte.

 

 

Die komplizierte Thematik von Marcus Graf, der sich mit dem Einfluss biochemischer Prozesse auf die menschliche Wahrnehmung beschäftigt, indem er Bilder vergrößerter Pharma-Packungen malt, steht im Gegensatz zur heiteren Unbeschwertheit, von der etwa Oliver EItings Malerei getragen ist. Die Beispiele zeigen, dass sich der allgemeine Zustand des gegenwärtigen Kunstgeschehens, das durch keinen Mainstream gekennzeichnet ist, auch in dieser Gruppenschau spiegelt.

Unter den Foto- Arbeiten fällt vor allem der Beitrag von Telat Cengiz auf, der sich mit dem verschatteten Grenzbereich zwischen libidinöser Anziehung und Aggression befasst: An der Wand das Porträt einer Frau mit einem am Hals dezent vorhandenen, aber deutlich wahrnehmbaren Knutschfleck, dazu ein Album mit Aufnahmen desselben Motivs sowie Fotos eines entblößten weiblichen Oberkörpers. Der weist außer einer verpflasterten Brustwarze schwer zu definierende Spuren auf, die -sowohl als zurückgebliebene Male eines sexuellen Vorgangs wie auch als Folgen einer Misshandlung, aber ebenso als harmlose Hautunreinheiten gesehen werden können.

Natürlich fehlen auch die "neuen Medien" nicht. Dirk Fleischmann weitet den allgemeinen Kommunikationsterror bis in die Sphäre der Kunst aus, indem er eine Telefonkabine in den Ausstellungsraum installiert, von der aus man mit den ausstellenden Künstlern via Mobiltelefon sprechen kann. Mit dem verbreiteten Klamottenterror beschäftigt sich auf sehr amüsante Weise Thomas Kober. Er hat mit versteckter Video-Kamera junge, Frauen bei der Meideranprobe in Textilgeschäften beobachtet. Die verschiedenen unfreiwilligen Darstellerinnen drehen und wenden sich vor dem Spiegel jeweils mit dem gleichen wechselnden Ausdruck narzistischen Geltungsbedürfnisses und verlegenen Zweifels. Durch die Aneinanderreihung der Szenen entsteht der Eindruck einer Art burlesker Modenschau, die der gewohnten Steifheit und professionellen Glätte beraubt ist. Dieses Video ist schon deshalb bemerkenswert, weil es ein so seltenes Beispiel dafür ist, dass Video-, Kunst nicht langweilig sein muss.

 

 

(Frankfurter Rundschau vom 21.10.1999)

 




 

Nah am Meister

 

Hermann Nitsch zeigt, zu seinem Abschied vom Städel, 

Arbeiten seiner Schüler in der Ausstellungs Halle Schulstraße

 

 

Von Florian Malzacher

Ein merkwürdiges Klassentreffen, bei dem die meisten so kommen, wie sie einmal waren und nicht so, wie sie inzwischen sind. Städel - Professor Hermann Nitsch (der offiziell nie einer sein durfte) präsentiert zum Ende seiner Lehrtätigkeit Arbeiten seiner Frankfurter Schüler aus rund 30 Jahren in der Ausstellungs Halle Schulstraße. Sein Anliegen ist es, bei aller Toleranz, mit der er Abweichungen akzeptiert, Gemeinsamkeiten zu zeigen. Vielleicht die Klasse zur Schule zu adeln. Deshalb sind die ausgestellten Arbeiten größtenteils ältere - was spannend ist, wo man spätere Werke der Künstler kennt, und irreführend, wo nicht. Obwohl Nitsch den Lehrstuhl für interdisziplinäre Kunst innehatte, dominiert in der Ausstellung die Malerei, die neben der Performance Nitschs zentrales Medium ist. Videos gibt es nur vereinzelt, Skulpturen fast gar nicht, Fotografien wenige.

Anfang der siebziger Jahre, als Nitsch zum ersten Mal in Frankfurt unterrichtete, machte vor allem die Studentengruppe meff mit situationistischen Aktionen auf sich aufmerksam. Davon verraten die Arbeiten von Paul Zita, Martina Kügler, Peter Scheich, Winfried Wolf und Prometheus nicht viel, fast wirken ihre Arbeiten ernst und schwer, wie Scheichs Gemälde von schemenhaften Körpern, die von den Elementen durchdrungen, umgeben werden. Da sie am Anfang der Ausstellung stehen, kommt man kaum umhin, sie als Schöpfungsmythos zu lesen, zumal eine großformatige Kreuzigungsszene von Karsten Kraft den Abschluss bildet. Religiöse Motive kehren immer wieder, mal monumental, mal eher esoterisch wie bei Esther Merz. Auch das Kreuz taucht, beispielsweise bei Ah. P. Taro Miyabe, rußschwarz mehrfach auf. Vor allem aber ist, wie zu erwarten, Blut ein ganz besondrer Saft in Nitschs Welt. So dominiert die Farbe Rot in unterschiedlichsten Variationen, von denen die dezentesten Anke Röhrscheids pflanzenartige Gebilde und Corinna Mayers rote Frauenporträts sind.

Massiv und bedrohlich wirkt die Farbe bei Fatma Strößinger - und hier findet sich auch der kräftige, gestische Pinselstrich, der viele der gezeigten Arbeiten wesentlich ausmacht: Die Aktionsmalerei, Dreh- und Angelpunkt in Nitschs malerischem Werk, ist omnipräsent. Auch die frühen, dickpastosen Bilder von Mirek Macke oder die schwarzen Bewegungsgesten auf vergilbtem Papier von Inkritt Störkel sind in dieser Beziehung nah am Meister. Aber nicht nur der wird zitiert, fast die gesamte Kunstgeschichte ist Material: Lionel Röhrscheids frühe Malerei mutet in ihrem dunklen Braun an wie von einem alten Meister - allerdings nahezu motivlos. Eva Köstners runde Zeichnungen mit ihrer unfertigen Anmutung könnten ein Präraffaeliten-Zitat sein, Marcus Grafs schwarze Siebdruck-Werbeplakate spielen mit Warhols Pop-Art. Dass man bei Nitsch einen Hauch von Sekte vermutet, liegt nahe. Und tatsächlich gibt es einige Porträts des Meisters, die diese Idee zumindest thematisieren. Evangelia Pitsou zeigt Nitsch mal großformatig als eine Art toter Lenin, mal fast ikonenhaft auf einer Holztafel. Doch wo die Gefahr des Pathos ist, wächst das Rettende auch: Veronika Schwegler ironisiert Nitsch als Heiligenbild. Humor ist nicht die vorherrschende Eigenschaft von Nitschs Schülern - dennoch ist er gut vertreten und gibt den nötigen Kontrast: Rüdiger Steuers zeichnet comichaft eine Schriftrolle mit Szenen modernen Lebens in ägyptisierender Manier, Sandip Shah betet in einer Videoarbeit eine amerikanisch anmutende Flagge an. Und damit Nitsch nicht zu mächtig wird, hat Jürgen Wolfstädter fluxushaft in einen Wandkalender für jeden Dienstag die Mahnung eingetragen. Mutter anrufen.

 

(Frankfurter Rundschau vom 07.08.2003 )

 




 

Bilder vom Menschsein - sinnlich und intensiv

 

Erste Einzelausstellung der Bensheimerin Fatma Strößinger

von Professor Hermann Nitsch eröffnet.

 

 

Von  rol

Bensheim. Wenn zur ersten Einzelausstellung einer jungen Künstlerin der Professor von der Städelschule in Frankfurt anreist und dieser auch noch so einen prominenten Namen wie Hermann Nitsch trägt, dann darf man in der Galerie am Ritterplatz keine Allerweltsmalerei erwarten. Und wenn die Dame dazu noch in Bensheim wohnt, ist die Neugier der Kunstfreunde auf solches Debüt naturgemäß groß. Volles Haus also am Freitagabend zur Vernissage inmitten großformatiger Ölgemälde von Fatma Strößinger und in Erwartung dessen, was ein international bekannter Happeningkünstler, dessen blutige "Orgien- und Mysterientheater" einst einen Skandal nach dem anderen provozierten und dessen Berufung an die Frankfurter Hochschule äußerst umstritten war, über die Malerei seiner Meisterschülerin zu sagen hätte.

Wer Akademisches erwartete oder gar Programmatisches aus der wilden Ära des Wiener Aktionismus, sah sich enttäuscht. Hier sprach ein liebenswürdiger älterer Herr freundschaftlich-väterliche Worte über eine "fleißige" Malerin, deren Resultate "einzigartig und ungewöhnlich" seien. Nitsch forderte die Besucher auf zu "schmecken, wie sinnlich und intensiv" ihre Bilder gemalt seien, wie "tief ins Fleisch diese Malerei greife". Bei solchem "Schmecken" solle man "ruhig ein Gläschen Wein dazu trinken, das öffnet Ihre Herzen".

Dass die Malerei von Zeit zu Zeit totgesagt wird, hält Nitsch für eine Modeerscheinung. Alle Formen visueller Kommunikation seien wichtig: "Doch dass so etwas Grundsätzliches und Großartiges wie die Malerei versiegen wird, ist unmöglich."

Fatma Strößingers bis zu fünf Quadratmeter große Leinwände darf man getrost als Untermauerung dieser These ansehen. Sie bestechen nicht nur durch ihre malerischen Qualitäten, sondern durch kraftvolle Bilder, Gebärden und Zeichen, die auf urgründige Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit und der Umwelt hinweisen. In den expressiven Farben und Gebilden drückt sich im Wechselspiel von gegenständlichen und ungegenständlichen Bildelementen eine subjektive Sicht auf die Rolle der Frau zwischen sexuellem Wesen und Mutter aus, die zudem im Spannungsfeld von mohammedanischer und westlich-europäischer Kultur steht. Von Wünschen und Sehnsüchten erzählen die Bilder, von Schmerzen und Leiden, Freuden und Glücksmomenten, Trauer und Schicksalsschlägen, Liebe und Hoffnung, Sexualität und Geburt: Eine Malerei, die zutiefst sinnlich und nichtsdestoweniger geistig vom Leben berichtet, Menschsein bewusst macht.

Da schälen sich schemenhaft Gesichter aus der Gemengelage der Rot- und Blautöne heraus, da schimmert ein übermaltes Brautfoto noch schwach in der bewegten Realität abstrakt-expressiver Strukturen, da tobt ein Feuerinferno in den beiden "Erdbeben"-Bildern. "Blau" heißen etliche Werke, wobei es nicht die Farbe ist, die hier dominiert, sondern die gesamte Bildstimmung.

Blüten, einer Calla ähnlich, bieten sich als Symbole der Vulva an. Anderswo kann man rätseln, ob das Spiel von Kreis- und Bogenformen Kosmisches signalisiert oder für weibliches und männliches Prinzip - Eizellen, Phallus - steht. "Schmerz" versinnbildlicht die 1969 in Istanbul geborene Künstlerin eindrucksvoll allein mit den Mitteln der Farbe und des Gestus.

Kein Zweifel: Fatma Strößinger ist es gelungen, mit malerischen Mitteln Existenzielles zu thematisieren - dies in einer Art und Weise, die den Betrachter nicht gleichgültig lässt. "Eine schöne Ausstellung", befand Hermann Nitsch. Samstags und sonntags von 11 bis 17 Uhr lässt sie sich bis zum 16. Februar besichtigen.

 

(Bergsträßer Anzeiger, 20. Januar 2003)

 

 

 

 
 
     
 

NEU! NOW 2 - Sichten 

 
     
 

Eröffnungsrede BBK Darmstadt, 10.4.2008, 19.30 Uhr, Stolze-Haus

 
     

Von Andrea Suppmann

 

Fatma Stroessinger hat von 1989-1992 an der Marmara Universität in Istanbul Malerei studiert bevor sie 1994 bis 2000 ein Kunststudium am Städel bei Professor Hermann Nitsch absolvierte. Ihr farbintensives Werk variiert vielfach die warme Palette der Gelb-, Orange- und Rottöne. F.S. s Malerei ist bei aller Farblastigkeit nicht abstrakt angelegt, sie interessiert sich in hohem Maße für Körperhaftes, insbesondere Fragmente des menschlichen Körpers, gessen Gesten und flüchtige Bewegungen. In fast allen Werken zeigt sich eine an der Farbe und mit der Farbe entwickelte Gegenständlichkeit.

 

In diesem monumentalen Triptychon zeigt sich die Fähigkeit der Farbe Rot, genauer, der Rottöne sich auszudehnen, Raum einzunehmen, Energie auszustrahlen, ihr inneres Brodeln und Glühen spürbar werden zu lassen. Rot ist eine Farbe der Wärme und der Leidenschaft, aber auch eine Farbe der Aggression und der Zerstörung. Das mag sehr plakativ klingen, aber es gibt keine Farbe, die so widersprüchliche Konnotationen vereint, die einen so streitbaren Charakter offenbart.

Kontraste zwischen helleren und dunkleren Rottönen, zwischen lodernd hellen Feuerzungen und fast schwarzen Schluchten, lassen eine Räumlichkeit entstehen, die im Bild rechts fast fluchtende Ausmaße annimmt. Der Farbauftrag gerät ihr nur selten zur ungestümen Malgebärde, meist ist es ein verhalten gestischer Duktus, der ihre Arbeit kennzeichnet. Die Farbe spielt zwar die dominierende Rolle der Bildwirkung, doch ist F.S. keine Farbpuristin, die Abbildhaftigkeit leugnet. In dieser farbgewaltigen Arbeit greift die Künstlerin auf ihre persönlichen Erfahrungswelten zurück, indem sie fotografische Dokumente aus ihrem eigenen Leben auf das Bild collagiert.

 

Trotz Übermalung erkennt man Heirat, Schwangerschaft, das Plakat ihrer ersten Einzelausstellung, daneben die Ansicht eines eingestürzten Hauses während des großen Erdbebens von 1999 in Istanbul, das sie aus nächster Nähe erlebte. Es sind die Wechselfälle des Lebens, die die Künstlerin interessieren, das Auf und Ab der Lebensenergien, die sich in blasenartigen Kreisen, mal als Luftblasen des verschwindenden Lebens, mal als Wasserblasen des entstehenden Lebens darstellen. Selbst der authentische Händeabdruck der Künstlerin, weist auf die persönliche Dimension ihrer Kunst hin. Toröffnungen verbinden die einzelnen Bilder, lassen Glück und Leid miteinander in Beziehung treten, einschneidende Momente eines Lebens, dessen Erzählerin uns aus zentraler Position entgegenlächelt. Dies ist soweit ich ihre Arbeit kenne, eine programmatische Arbeit, eine Art Selbstporträt, das Farbe und Narration auf sehr sinnliche Weise verbindet. Erinnert man sich an den Titel Erdbeben, dann wird die traumatische Erfahrung für uns alle fühlbar. Rote Rinnsale scheinen an manchen Stellen fast zufällig nach unten zu rinnen und die Assoziationen zu Nitschs Schüttelbildern sind hier nicht von der Hand zu weisen.

 

(Andrea Suppmann, April 2008)